Raphael Wardecki - Bürgermeister im Ostseebad Boltenhagen

Raphael Wardecki - der Harmonie-Bürgermeister im Ostseebad Boltenhagen

Heute frage ich für resor.de Raphael Wardecki nach seinen Beweggründen, sich als junger Mensch der Politik eines Ortes zu widmen, zu dem er eine langjährige Verbindung hat, der jedoch bisher immer von Einheimischen regiert wurde.merken
Ich habe Raphael Wardecki im Januar 2019 kennengelernt. Er hatte gerade seine Kandidatur für
die Bürgermeisterwahl im Mai 2019 bekannt gegeben. Ich fand es einen mutigen Schritt und zolle
dafür hohe Anerkennung.
Lesen Sie die interessante Geschichte eines jungen Bürgermeisters in einem beschaulichen, sehr bekannten Ostseebad an der Küste von Mecklenburg. Autor: B. Specht, 2020

Porträt | Interview | Kommunalpolitiker in Boltenhagen

Im Interview: Der Bürgermeister von Boltenhagen 

Eine interessante Konstellation…
resor.de: Detmold im ostwestfälischen Lipperland und das Ostseebad Boltenhagen in Mecklenburg-Vorpommern liegen annähernd 400 KM auseinander. Was bewegt einen Jungunternehmer dazu seine Zelte in Detmold abzubrechen um an die Ostsee zu ziehen.
Raphael Wardecki: Durch meine Eltern habe ich einen sehr engen Bezug zu Boltenhagen aufbauen können. Sie wurden in der kleinen Kirche in Boltenhagen getraut und wir sind mehrmals im Jahr hierhergekommen. Für mich hat sich im Laufe der Jahre eine Liebe zum Ostseebad Boltenhagen entwickelt, die in mir den Entschluss reifen ließ, vor dem dreißigsten oder nach dem sechszigsten Lebensjahr hierher zu ziehen. 2019 habe ich die Entscheidung getroffen, meinen Lebensmittelpunkt an die Ostsee zu verlegen.
Die Zelte in Detmold habe ich nicht abgebrochen sondern in Lübeck eine Niederlassung gegründet, die den Fokus auf Seebestattungen legt. Im Hauptberuf bin ich Bestatter, im Nebenberuf Bürgermeister des Ostseebades Boltenhagen.
Coole Partys und Diskussionen im Sitzungssaal
resor.de: Junge Menschen in der Politik gehören fast zur Minderheit. Was motiviert einen 28 jährigen Single dazu, statt Partys und Festivals zu besuchen, sich mit der trockenen Materie eines Kommunalpolitikers auseinander zu setzen?
Raphael Wardecki: ​Schon in der Schule habe ich mich für Politik interessiert und von Zuhause aus wurde mir auch mitgegeben, dass die Bildung einer eigenen politischen Meinung wichtig ist. Bedingt dadurch, dass meine Eltern einen handwerklichen Betrieb hatten, bekam ich schon früh die Zusammenhänge zwischen Politik und Wirtschaft, insbesondere für kleine mittelständische Unternehmen, zu erkennen.
Bereits nach dem Abitur habe ich mich in meiner damaligen Heimatstadt Detmold als parteiloser Stadtrat aufstellen lassen, musste jedoch feststellen, dass sich an den politischen Prozessen wenig ändern ließ und die Linie der „dauernd regierenden Partei“ beibehalten wurde, Veränderungen, auch perspektivisch langfristige, wurden ausgeschlossen, wodurch letztlich das Interesse an einer Mitarbeit verloren ging.
Boltenhagen - Stillstand oder Fortschritt
resor.de: Warum gerade ins Ostseebad Boltenhagen, wo doch der politische Unterbau zum allergrößten Teil aus Einheimischen besteht, die mit der Entwicklung des Ostseebades teilweise seit Kindesbeinen vertraut sind?
Raphael Wardecki: Zuerst ging es mir darum, dass ich im Ostseebad Boltenhagen wohnen wollte, losgelöst von den geschichtlichen Hintergründen und ohne politische Ambitionen.
Nach dem Wohnsitzwechsel von Detmold nach Boltenhagen kam jedoch wieder der Wunsch in mir hoch, mich politisch zu engagieren, etwas zu bewegen, mitgestalten und an der Entwicklung des Ostseebades, meiner neuen Heimat, teilhaben zu wollen. Das setzte jedoch voraus, dass man mir das Vertrauen gibt, was für ein Amt mit Entscheidungsbefugnis erforderlich ist.

resor.de: Dieses Vertrauen wurde dir mit der Wahl zum Bürgermeister von Boltenhagen doch gegeben.
Raphael Wardecki: Genau, dafür bin ich auch dankbar, weil es die Grundlage für eine gute Arbeit bietet. Die Materie ist neu und tagtäglich kommen Herausforderungen auf mich zu, die entsprechende Lernprozesse in Bewegung setzen. Das schätze ich sehr an dieser Arbeit. Es gibt durchaus spaßigere Aufgaben, die man bewältigen könnte, jedoch motivieren mich hier die Erfolge und für mich als Person sind die Herausforderungen auch Mosaiksteinchen im eigenen Lebensprozess.
Zuhören kann Früchte tragen
resor.de: Ich (B. Specht) komme ebenfalls aus den „alten Bundesländern“ und gehöre der Generation an, die die Wende bewusst erlebt hat und habe einige Jahre mit meiner damaligen Firma für eine große Reederei in Rostock gearbeitet und viel gelernt – über das Leben in der DDR, konnte die positiven und negativen Errungenschaften beider Systeme miteinander vergleichen und habe sehr viele offene, freundliche Menschen kennengelernt. Eine Zeit meines Lebens mit interessanten Begegnungen, die mir sehr viel bedeuten. Auch heute, mehr als dreißig Jahre nach dem Mauerfall, gibt es immer noch Menschen, für die Ost und West zwei Welten sind. Deine Generation, Raphael, wird wohl zu den ersten gehören, denen es egal ist, ob jemand aus Mecklenburg oder Westfalen kommt. Das ist vermutlich der normale Langzeitprozess, dem eine Vereinigung beider ehemaliger deutscher Staaten zugestanden werden muss.
In diesem Zusammenhang sehe ich es als besondere Wertschätzung deiner Person an, dass du als junger, unbekannter Mann aus dem Westen von den Boltenhagener Bürgern, die überwiegend älter sind, die Stimmen erhalten hast, ihr Bürgermeister zu werden.
Raphael Wardecki: Mein Beruf setzt etwas ganz Entscheidendes voraus, wenn man ihn richtig ausüben will. Dieses kleine Etwas ist es, was ich den Menschen entgegenbringe und was sie schätzen – zuhören. Ich kann deren Sorgen und Nöte, deren Wünsche und Vorstellungen von einem lebenswerten Boltenhagen nur wahrnehmen, wenn ich zuhöre. Das wurde von den Mitmenschen im Ostseebad honoriert.
Junger Kapitän und sattelfeste Matrosen
resor.de: Die politischen Strukturen des Ostseebades Boltenhagen scheinen über Jahre hinweg gefestigt, unumstößlich geworden und in sich verwoben zu sein oder gibt es eine frische Brise, die das Boot mit einer Kursänderung weiter nach vorn bringt?  
Raphael Wardecki: ​Vermutlich sind nicht nur in Boltenhagen sondern auch in vielen anderen Gemeinden die Vertreter einer Gemeinde mit Ihren Aufgaben eng verbunden, dass es vielfach an der Bereitschaft für Erneuerungen fehlt. Am Anfang wehte mir oft ein kalter Wind entgegen, Anerkennung für meine Arbeit habe ich selten bekommen und dennoch habe ich eine Hoffnung, die mir auch die Kraft für die Wahrnehmung dieses Amtes gibt. Ich hoffe, dass bei der nächsten Wahl in vier Jahren mehr junge Leute die Verantwortung auf sich nehmen und sich im Gemeinderat für ihr Ostseebad Boltenhagen einsetzen. Quer durch alle Parteien. Die jetzigen Gemeindemitglieder haben in der Vergangenheit sicherlich vieles geleistet, was anzuerkennen ist, wenngleich nicht alles zum Wohl von Boltenhagen war. Sie müssen aber auch akzeptieren, dass jüngere Menschen „ihr“ Boltenhagen formen und erleben wollen. Mit Änderungen, neuen Ideen – und auch dem Bewusstsein, dass sich eine fehlerhafte Entscheidung dazwischen mogelt, die man korrigieren muss solange es möglich ist. Ich bin mir noch nicht sicher, ob die Zurückhaltung der jungen Menschen am Desinteresse liegt oder ob Ihnen in Ihrer Partei keine Chance geboten wird. Keine Frage, das Wechselspiel von den Erfahrungen „alter Hasen“ und den Ideen junger Köpfe ist wichtig und hilfreich, aber ebenso hilfreich für die Entwicklung der Gesellschaft ist es auch loszulassen, seinen Job als Gemeindevertreter den Nachrückern innerhalb der Partei zur Verfügung zu stellen. Andernfalls laufen wir Gefahr, dass eine Generation die Lust an ehrenamtlicher Arbeit gar nicht aufbauen kann und dann sitzen nur noch die ganz alten Menschen im Gemeinderat, weil die es versäumt haben, rechtzeitig den Stab zu übergeben. Und jetzt will ihn niemand mehr.
​Das Gespräch haben Bürgermeister Raphael Wardecki und Burckhard Specht (resor.de) zusammen im November 2020 geführt. Raphael Wardecki (Bündnis 90 / Die Grünen) ist seit dem 01. Juli 2019 ehrenamtlicher Bürgermeister des Ostseebads Boltenhagen.