Verbraucher-Milch im Regal

Du bist hier der Chef - Verbraucher bestimmen, wie ihre Milch hergestellt wird

Die Diskussion um eine gerechte Vergütung für die Produzenten und deren Mitarbeiter*innen ist nicht neu. Meist geht der Blick in diesem Zusammenhang nach Asien, wo in Bangladesch und China, um nur zwei Staaten zu nennen, Textilien unter fragwürdigen, teilweise unwürdigen Bedingungen erstellt werden. Und wie sieht es in Deutschland aus?merken
Auch hier gibt es viele Produzenten, die es nicht schaffen dem Druck der großen Ketten zu entweichen, um ein auskömmliches Leben zu führen. In erster Linie sind das landwirtschaftliche Betriebe. Es ist kaum anzunehmen, dass große Schlachtbetriebe wie Tönnies, Westfleisch und wirtschaftlich gleichsam ausgerichtete Unternehmen ihre Tiere aus biologischer Aufzucht beziehen. In der Milchwirtschaft werden die Preise ebenso gedrückt, um hier dem Verbraucher eine gute Ware zu einem zerstörerischen Preis anzubieten. Zerstörerisch für die Produzenten und deren Familien und Angestellten.
Dass es auch anders geht zeigt die Bewegung „Du bist hier der Chef“. Um diese aus Frankreich stammende Idee, die die Wurzeln in 2016 hat, besser zu verstehen und zu erfahren wie sie in Deutschland Fuß gefasst hat, habe ich ein Interview im November 2020 mit dem 1. Vorsitzenden, Nicolas Barthelmé, der jahrelange Erfahrungen aus dem Marketing namhafter Produzenten der Lebensmittelbranche aufweisen kann, geführt. Autor: B: Specht, 2020

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Porträt | Interview |

Die neue Milch-Marke: Verbraucher-Milch - von Verbrauchern gewählt

Das Konzept
resor.de: Nicolas, du bist der Initiator von „Du bist hier der Chef“. Hast du in deinem Heimatland Frankreich Berührungen und Erfahrungen mit der dortigen „C’est qui le patron“ gehabt und was kann daraus für den deutschen Markt adaptiert werden?
Nicolas Barthelmé: Die Initiative „C’est qui le patron?!“ habe ich zufällig in Frankreich beim Einkaufen entdeckt. Mich hat die Idee der Mitbestimmung für Verbraucher*innen sofort fasziniert. Man sagt doch: „Der Kunde ist König.“ Also sollte er auch entscheiden und mitbestimmen dürfen. Bei „Du bist hier der Chef!“ schaffen wir dank unserer Online-Fragebögen Transparenz bei Qualität und Preis von Lebensmitteln. Und wir lassen Verbraucher*innen selbst entscheiden, was ihnen bei Lebensmitteln wichtig ist, wie diese produziert werden sollen und den entsprechend fairen Preis mitbestimmen. So schaffen wir gute und faire Produkte für alle und unterstützen dabei die Landwirte in Deutschland.
Die Idee der Verbrauchermarke
resor.de: ​Die Verbrauchermarke – das ist offensichtlich das Ziel. Wie muss sich der Konsument das vorstellen, wie kann er abgeholt werden um seine Meinung zu dem Produkt einfließen zu lassen?
Nicolas Barthelmé: Wir bieten unterschiedliche Mitmach-Möglichkeiten an: Es gibt ein Produkt-Voting, über das man entscheiden kann, mit welchen Produkten wir weitermachen. Nach der Milch kommen die Eier. Dann sollen Kartoffeln, Mehl, Honig, Butter und erste Fleisch-Produkte folgen, wie von der Community am stärksten nachgefragt. Dazu gibt es den Produkt-Fragebogen (aktuell ist der Fragebogen für die Eier online). Hier kann man über relevante Produktmerkmale wie Herkunft, Produktionsprozess, Vergütung für die Landwirte, Qualität und Verpackung entscheiden und den Verkaufspreis mitbestimmen. Alle Antworten werden ausgewertet und in einem Pflichtenheft zusammengefasst. Die Verbraucher schaffen sich ihr Lieblingsprodukt gewissermaßen selbst und damit es den Weg in die Supermarktregale findet, suchen wir parallel Landwirte, Hersteller und Händler als Partner. Indem sie die Produkte dann kaufen, unterstützen sie ein System, das sie co-kreiert und mitbestimmt haben. Besonders engagierte Verbraucher können mit einer einmaligen Aufnahmegebühr von 1,- Euro zusätzlich Vereinsmitglied werden und die Entwicklung der Initiative mitgestalten.
Die Verbraucher-Milch
resor.de: ​An dem neuesten Produkt - die Verbraucher-Milch - zeigt sich worauf ihr Wert legt. Tierwohl, Nachhaltigkeit, faire Vergütung und Bio – um nur ein paar Eckdaten zu nennen – werden hier genannt. Sind das auch die Hauptmerkmale für alle kommenden Produkte? Oder ist Bio nicht zwingend erforderlich?
Nicolas Barthelmé: Die Chef-Milch, von knapp 10.000 Verbraucher*innen gewählt, ist tatsächlich ein ganz tolles Produkt geworden: eine regionale Bio-Weidemilch, fair für Landwirt und Kühe. Wir geben nichts vor, sondern lassen die Community entscheiden. Bio, genauso wie die faire Vergütung für die Landwirte, muss aktiv gewählt werden. So verstehen wir Transparenz und Mitbestimmung.
Die Partner und Produzenten
resor.de: ​Nicolas, wo werden die Produkte hergestellt? Gibt es für die Milch eine bestimmte Meierei oder diverse Meiereien in den einzelnen Regionen? Ist auch Nachhaltigkeit beim Transport ein Kriterium?
Nicolas Barthelmé: Wir haben uns dafür entschieden, mit vier bis fünf unterschiedlichen Molkereien oder Meiereien zusammenzuarbeiten, um die gewählte Chef-Milch regional produzieren und vermarkten zu lassen. So unterstützen auch Verbraucher*innen mit jedem Kauf Landwirt*innen aus ihrer Region. So vermeiden wir auch unnötige Transportwege.
Gestartet sind wir mit der Upländer Bauernmolkerei, die die Mitte Deutschlands bedienen wird. Sobald wir Listungen in anderen Regionen erhalten werden (Norden, Osten, Süden), werden wir weitere Partner aufschalten.
Der Preis
resor.de: ​Nicolas, wie werden die Vergütungen und Preise festgelegt? Die Landwirte haben sicherlich unterschiedliche Produktionskosten aufgrund der Lage, Hofgröße, Einhaltung von Tierwohl. Kann man auf dieser Basis einen gemeinsamen Preis beispielsweise für Milch vereinbaren, der allen Landwirten gezahlt wird?
Nicolas Barthelmé: Ja, das stimmt. Alle Bauernhöfe sind unterschiedlich. Auch zwischen den Regionen gibt es große Struktur-Unterschiede, die man zum Teil in den entsprechenden Kostenkalkulationen wiederfindet. Wir haben bei der Entwicklung des Milch-Fragebogens mit vielen Landwirten gesprochen und zusammen die unterschiedlichen Produktmerkmale bepreist. Damit sichern wir ab, dass die faire Vergütung die Umsetzung der gewählten Kriterien ermöglicht.
Für die Chef-Milch zahlen wir 0,58€ pro Liter, und das ist aktuell der höchste Milchpreis in Deutschland (er ist fast doppelt so hoch wie der konventionelle Milchpreis und liegt 11 Cent höher als der Bundesdurchschnitt für Bio-Milch.
Der Vertrieb
resor.de: ​Eine Frage zum Vertrieb, Nicolas. Wo kann der Verbraucher eure Ware erhalten? Bisher sind nur REWE und tegut… Märkte in eurer Markt-Liste aufgeführt. Wie sieht es mit den Bioläden aus?
Haben die Märkte die Preishoheit? Ist auch ein Web Shop in Planung für länger haltbare Produkte wie Mehl, Honig, Konfitüre, etc.?
Nicolas Barthelmé: Die Milch ist mittlerweile bei 6 Handelsketten erhältlich: Rewe, Hit, tegut, Wasgau, Alnatura und in einigen Edeka-Märkten. Allerdings ist sie noch nicht bundesweit erhältlich. In unserem Store-Finder kann jeder prüfen, wo die Märkte mit der Milch liegen bzw. die Listung der Milch in seinem Lieblingsmarkt per E-Mail, Tweet oder Facebook-Nachricht anfragen.
Alnatura ist Ende Oktober gestartet und hat die Chef-Milch in ca. 40 Märkten in NRW und Berlin gelistet. Ende November kommen weitere 15 Märkte in Hessen dazu.
Dank der Fragebögen ermitteln wir zusammen eine unverbindliche Preis-Empfehlung für unsere Produkte (1,45€ für die Milch), die wir auf die Verpackung drucken. Der Handel hat aber weiterhin die Preishoheit und entscheidet, zu welchem Preis er verkaufen möchte.
Aktuell planen wir keinen eigenen Web-Shop sondern möchten lieber mit bestehenden Händlern zusammenarbeiten.
Die Organisation
resor.de: ​Kommen wir zur letzten Frage, Nicolas: Wieso habt ihr die Form eines e.V. gewählt, wo euer Konzept doch auch sehr gut für eine Genossenschaft dient, insbesondere hinsichtlich der erworbenen Anteile und Stimmrechte.        
Nicolas Barthelmé: Die Initiative „Du bist hier der Chef!“ besteht aus 2 Rechtsformen, wie auf unserer Webseite erklärt: ein gemeinnütziger Verein und eine UG.
Der Verein hat eine Entscheider-Rolle, ist für die Kommunikation sowie für die Gestaltung der Ideal-Produkte mit der Community zuständig. Die UG hat die Experten-Rolle, entwickelt die Fragebögen, sucht die Partner aus und baut den Vertrieb und die Vermarktung der Produkte auf.
Tatsächlich haben wir uns vor der Gründung mit dem Thema Genossenschaft auseinandergesetzt. Am Ende fanden wir die e.V.-Form zugänglicher für die Verbraucher.
Vielen Dank für das interessante Interview, Nicolas.
Wir von resor.de wünschen dir und deinem Team weiterhin viel Erfolg mit eurer sozial fundierten Unternehmensstruktur und dem ungewöhnlichen Geschäftsmodell. 
Das Interview haben wir im November 2020 erstellt.